Sehr gut besuchte Dorfwerkstatt in der Emmaus-Gemeinde brachte neuen Schwung in die Debatte um eine mögliche Bürgergenossenschaft
Das Interesse an einer möglichen (Bürger-)Genossenschaft war überwältigend – viel höher als erwartet. Das kliQ-Projekt, das am Sonntag den 5. November 2023 zur „Dorfwerkstatt“ in den Emmaus-Gemeindesaal einlud, hatte mit 30 bis 40 Personen gerechnet, es kamen rund 120. Eine Herausforderung für Moderator Thomas Dönnebrink, der seine Aufgabe aber souverän meisterte. Fast alle blieben bis zum Schluss und spielten an zehn Tischen durch, wie eine oder mehrere Genossenschaften gegründet werden könnten. „Wir haben einen Gründungsimpuls bekommen“, so das Fazit von Michael Gaedicke vom kliQ-Kernteam.
Christian Küttner stellte eingangs vor, was im Rahmen des kliQ-Projektes schon alles gelaufen ist und noch laufen wird. Im ersten Teil hatte die vom Verein Papageiensiedlung beauftragte Berliner Energieagentur eine Potenzialanalyse für fast alle privaten und öffentlichen Gebäudetypen im Quartier mit seinen rund 10.000 Menschen angefertigt. Damit die Arbeit nicht umsonst war, muss die energetische Sanierung nun in drei bis fünf Jahren umgesetzt werden. Dafür muss ein weiterer Antrag bei der KfW gestellt werden, damit Fachberatung und Klima-Quartiersmanagement bezahlt werden können. Um aber eine fossilfreie Energieversorgung im Kiez aufzubauen, reichen die KfW-Gelder und das ehrenamtliche nachbarschaftliche Engagement nicht aus, stellte Christian Küttner klar.
Es bräuchte einen neuen rechtlich-organisatorischen Rahmen, dafür wäre eine von Hauptamtlichen geführte Genossenschaft eine hilfreiche Struktur. Seine Argumente: Laut den neuen Bundesgesetzen muss das Land Berlin bis 2026 eine Kommunale Wärmeplanung vorlegen, das hiesige Bezirksamt – seit rund zwei Jahren ohne Klimaschutzbeauftragte!! – muss zuarbeiten. Bis zu drei Viertel der Planungskosten einer Genossenschaft würden öffentlich finanziert, weil sie hier die Gemeinwohl-Aufgaben des Bezirks übernehmen würde. Machbarkeitsstudien in einzelnen Straßen, deren Bewohnerschaft etwa an Nahwärmenetze interessiert seien, könnten ebenfalls darüber finanziert werden. Die Genossenschaftsanteile seien sicher angelegt und könnten wohl sogar Gewinne abwerfen.
Auch technisch sind Nah- und Fernwärmenetze machbar, die kliQ-Arbeitsgruppe Energie sammelt hierfür gerade Beispiele (siehe dazu auch ihr Flyer unter https://kliq-berlin.de/wie-koennen-wir-in-zukunft-heizen/ ). In manchen Quartiersteilen haben sich bereits Interessierte gefunden, die ein Nahwärmenetz mit Geothermie aufbauen wollen, etwa im Deisterpfad oder Im Fischtal. Wo wann wie tief gebohrt werden muss, um Geothermie zu nutzen, dazu kann man im Kiez keine generellen Aussagen machen, das muss über Machbarkeitsstudien pro Straße geklärt werden. Und nachdem Vattenfall lange kein Interesse am Aufbau neuer Fernwärme-Übergabepunkten zeigte, scheint sich das nun zu ändern. Wie ein Einwohner berichtete, zeigte sich das Unternehmen dazu bereit, wenn sich 120 bis 150 Haushalte zusammenfänden. Auch das könnte über eine Genossenschaft laufen. Allerdings ist die Fernwärme von Vattenfall anders als die Nahwärme auf absehbare Zeit nicht fossilfrei, und die Abhängigkeit von einem Großunternehmen bleibt.
Christian Küttner berichtete des weiteren über Gespräche mit Jörg Lorenz als Initiator einer möglichen Energiegenossenschaft, die berlinweit Nahwärmenetze aufbauen will. Ein mögliches Netz könnte in Schlachtensee entstehen, weil dort einige „Fans“ wohnen. Lorenz zeigte sich auch sehr interessiert am hiesigen Quartier, weil hier bereits viel nachbarschaftliches Knowhow mobilisiert wurde. Aber es ist völlig offen, ob „seine“ Genossenschaft zustande kommt, unter deren Fittiche kliQ vielleicht schlupfen könnte. Wahrscheinlich wäre es zielführender, eigenen Strukturen aufzubauen.
Im zweiten Teil der Veranstaltung begann an zehn Thementischen ein großes Palaver darüber, wie verschiedene Geschäftsbereiche einer Genossenschaft verwirklicht werden könnten. Anhand von vorgegebenen Fragen wurden an den Tischen Genossenschaftsideen durchgespielt. Das größte Interesse fand erwartungsgemäß das Thema Energie, das an sechs Tischen diskutiert wurde. Jeweils ein weiterer Tisch beschäftigte sich mit einer möglichen Kiezküche, mit Mobilität, Grünflächen und „Care“. Die Ergebnisse waren sehr komplex und werden im Einzelnen von den zuständigen kliQ-Arbeitsgruppen noch ausgewertet.
Deshalb hier nur Stichpunkte. Bei Energie wurden als möglicher Nutzen unter anderem genannt: „günstiger Einkauf und Selbstkostenpreis“, „Abgabe von Energie-Überschüssen“, „verlässliche Ansprechpartner“, „kaum laufende Kosten“, „Synergie-Effekte“, „CO2-frei und gemeinwohlorientiert“, „räumliche Nähe“ und „nachhaltige Energieproduktion“. Beim Thema Kiezküche vor allem für Ältere und Kinder hoben die Teilnehmenden den „generationsübergreifenden Nutzen“ hervor, neben „Preisvorteilen für die Genossen“, „Gemeinschaftsnutzen stiften“ und die „Bewirtschaftung eines Treffpunktes“ für die Bewohnerschaft.
Bei Mobilität wurde genannt: „Komfortables Carsharing“, „Entlastung von TÜV, Wartung und Reinigung“, „Reduzierung von Lärm, Geruch und Treibhausgasen“. Beim Thema Grün „entstehende Gemeinschaftsgärten“, „Geselligkeit“, „Austausch von Samen, Pflanzen, Wissen“, „gemeinschaftliche Kompostierung“ und „Mitmenschlichkeit“. Und bei „Care“, also einer möglichen Pflegenossenschaft oder anderer Nachbarschaftsdienste, könnten „Mitglieder Rabatte“ erhalten, ihre „Lebensqualität steigern“ und „Vereinsamung vorbeugen“.
Schließlich wurden unbeantwortete Fragen eingesammelt, die auf der Website https://kliq-berlin.de demnächst unter „FAQ“ beantwortet werden, und in der Abschlussrunde alle Ergebnisse zusammengetragen. Christian Küttner zog das Fazit: „Wir brauchen eine Klammer- oder Dachgenossenschaft. Die kann viele Unterprojekte verwirklichen, etwa eine Kiezküche, Carsharing oder auch Planung und Bau verschiedener Nahwärmenetze im Quartier. Wir sollten in den nächsten drei Monaten konkretisieren, wie die nächsten Schritte aussehen.“
Einen Teil dieser Vorbereitung werden die bestehenden Kiez- und Arbeitsgruppen kliQ-Energie, -Kiezküche, -Grün, -Mobilität und -Gesund leben übernehmen (Kontaktadressen für Interessierte unter https://kliq-berlin.de/mitmachen/). Sie könnten sich mit den neugefundenen Interessierten zusammensetzen und einen Fahrplan für ihr jeweiliges Thema erstellen. Am 27. Januar 2024 ist eine Folgeveranstaltung in der Emmaus-Gemeinde geplant, auf der die „Commitments“ zusammengetragen werden. Und wenn sich weiterhin viele Freiwillige finden, die die Arbeit aufteilen, könnte um Ostern 2024 herum die Bürgergenossenschaft gegründet werden. Ihr Motto würde wie bei allen Genossenschaften lauten: „Was eine:r nicht schafft, das schaffen viele.“